Ernte-Initiativen gegen Lebensmittelverschwendung

Stand: 09/12/2022
Es gibt verschiedene Gründe, warum viele Obstbäume in unserer Landschaft heute nicht mehr gepflegt oder abgeerntet werden: Die Besitzer können sich aus Altersgründen oder gesundheitlichen Gründen nicht mehr darum kümmern, sie wohnen zu weit weg oder ihnen fehlt schlicht die Zeit oder die Lagermöglichkeit. Manche Bäume wurden in der Generationenfolge vielleicht auch einfach nur vergessen.
Welch ein Desaster für traditionelle Kulturlandschaften, wenn alte Obstbäume in der Landschaft „verfallen“ – insbesondere, wenn historische Obstsorten dadurch verloren gehen. Und unfassbar schade für die Verschwendung von leckerem Obst.

Im Folgenden werden drei Initiativen vorgestellt, die auf innovative Weise einen Weg fanden, ungenutzte Obstbäume einer allgemeinen, legalen Nutzung zuzuführen.


1. Die Interessengemeinschaft (IG) Streuobst Rheinland-Pfalz

Die IG Streuobst wurde 2010 gegründet und ist ein offenes Netzwerk von Vereinen, Verbänden, Betrieben, Firmen, öffentlichen Institutionen und Privatpersonen mit dem Ziel, die heimische Streuobstkultur zu erhalten und zu beleben.
Auf ihrer Internet-Plattform www.streuobst-rlp.de werden Informationen und Erfahrungen ausgetauscht. Ferner wird man über den sogenannten „Marktplatz“ dieser Plattform an verschiedene regionale und überregionale Streuobstbörsen des Verbandes der Gartenbauvereine Saarland/ Rheinland-Pfalz e.V. verwiesen. Diese Streuobstbörsen vermitteln den interessierten Streuobstbesitzern entweder Käufer oder Pächter für Ihre Grundstücke oder aber Hilfestellung bei der Bewirtschaftung (Pflege, Ernte, Vermarktung des Obstes).
Verband der Gartenbauvereine Saarland/ Rheinland-Pfalz e.V. (Hrsg.): Was ist eine Streuobstbörse, im Internet unter gartenbauvereine.de (Zugriff 08.09.2022)


2. Gelbes Band Rheinland-Pfalz

Das Prinzip ist denkbar einfach: Mit einem auffällig gelben Band kann jeder Obstbaumeigentümer und jede -eigentümerin die Bäume markieren, die kostenlos und ohne jede Rücksprache geerntet werden dürfen. Gratis ernten gilt allerdings nur für den Eigenbedarf in haushaltsüblichen Mengen.
Gelbe Bänder wurden erstmals 2018 im Landkreis Esslingen eingeführt, um ungenutzte Obstbäume als Allgemeingut zu kennzeichnen und somit die Früchte vor dem Verrotten zu retten. Dafür wurde der Landkreis 2020 mit dem „Zu gut für die Tonne“-Bundespreis ausgezeichnet. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ruft nun jährlich in seiner Aktionswoche „Deutschland rettet Lebensmittel!“ bundesweit zur Teilnahme an Gelbe-Band-Ernteaktionen auf.
BMEL (Hrsg.): „Gelbes Band“ – hier darf geerntet werden, im Internet unter bmel.de (Zugriff 08.09.2022)

Der Bezirksverband Pfalz bietet zusammen mit dem Haus für Nachhaltigkeit der Landesforsten Rheinland-Pfalz und der LEADER AG Pfälzerwald plus ganzjährig und dauerhaft Gelbe-Band-Aktionen im Biosphärenreservat Pfälzerwald-Nordvogesen an, beginnend mit Baumschnittkursen zum Jahresbeginn bis hin zu Kelterterminen im Herbst. Frei verfügbare Bäume sind auf der Homepage des Biosphärenreservates kartiert. Der Verband sieht die großen Streuobstbestände als landschaftsprägendes Element im Biosphärenreservat Pfälzerwald an und will deren Bewirtschaftung durch solche Aktionen fördern.
Bezirksverband Pfalz (Hrsg.): Streuobstwiesen im Biosphärenreservat Pfälzerwald, im Internet unter pfaelzerwald.de (Zugriff 08.09.2022)

In ganz Rheinland-Pfalz haben sich bereits zahlreiche Städte und Landkreise an solchen Gelbe-Band-Aktionen beteiligt.


3. „Mundraub“

Die Initiative „Mundraub“ geht zurück auf eine Paddeltour durch Sachsen-Anhalt 2009, bei der der Ideengeber Kai Gildhorn mit seinen Freunden in freier Wildnis auf haufenweise ungenutztes Obst stieß. Spontan wollten sie die Allgemeinheit darauf aufmerksam machen. Daraus ist die Idee des „Pflückatlas für öffentliches Obst“ entstanden. Im Internet werden unter www.mundraub.org Standorte im öffentlichen Raum kartiert, an denen man Obst vorfindet. Die gängigen Obstarten können dabei mit Symbolen gekennzeichnet werden.

Jede und jeder kann einen neuen Fundort in der Karte eintragen. Dabei gilt es vier „Mundräuber-Regeln“ zu beachten:
  1. „Stellt vor dem Eintrag bzw. vor dem Ernten sicher, dass keine Eigentumsrechte verletzt werden.
  2. Geht behutsam mit den Bäumen, der umgebenden Natur und den dort lebenden Tieren um.
  3. Teilt die Früchte eurer Entdeckung und gebt etwas zurück.
  4. Engagiert Euch bei der Pflege und Nachpflanzung von Obstbäumen.“

Die Mundraub-Map hat sich seither deutschlandweit und im europäischen Ausland beträchtlich weiterentwickelt. Für die Eintragungen und vor allem für die Essbarkeit der vorgefundenen Früchte übernimmt die Initiative keine Garantie. Es wurde ein Musterbrief an Grünflächenämter ins Netz gestellt, um vor dem Eintrag abzuklären, dass Obstbäume und -sträucher auf öffentlichem Grund stehen.

Bei der grundsätzlich guten Idee gehen die Mundraub-Gründer davon aus, dass vergessene Bäume in der Natur und Bäume im öffentlichen Raum grundsätzlich ein Allgemeingut darstellen und Früchte ebenso wie Pilze oder Kräuter für den Eigenbedarf in geringen Mengen gesammelt werden dürfen. Nicht zulässig ist das Sammeln von Erzeugnissen auf Nutzflächen von Betrieben der Landwirtschaft, Obst- und Gemüsebau und Weinbau bzw. aus privaten Gärten.


Alle drei Initiativen haben eines gemeinsam:
Sie möchten nicht nur das Vergammeln von Obst in verwaisten Streuobstwiesen verhindern, sie möchten die Gesellschaft auch dafür sensibilisieren, wie wertvoll der Erhalt der Streuobstanlagen für unsere Kulturlandschaft ist.


Quellen


Annette.Conrad@dlr.rlp.de     www.Ernaehrungsberatung.rlp.de