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Vollwerternährung: Grundsätze des Konzeptes
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Ernährung und Gesundheit
Vollwertig essen
Vollwerternährung: Grundsätze des Konzeptes. „Die Vollwert-Ernährung ist eine überwiegend pflanzliche (lakto-vegetabile) Ernährungsweise, bei der gering verarbeitete Lebensmittel bevorzugt werden. Gesundheitlich wertvolle, frische Lebensmittel werden zu genussvollen und bekömmlichen Speisen zubereitet. Die hauptsächlich verwendeten Lebensmittel sind Gemüse und Obst, Vollkornprodukte, Kartoffeln, Hülsenfrüchte sowie Milch und Milchprodukte, daneben können auch geringe Mengen an Fleisch, Fisch und Eiern enthalten sein. Ein reichlicher Verzehr von unerhitzter Frischkost wird empfohlen, etwa die Hälfte der Nahrungsmenge.“ So definiert die Gießener Formel die Vollwert-Ernährung. Warum heißt sie „Gießener Formel“ und warum steht sie am Anfang dieses Beitrags? In den 70er Jahren begründeten Prof. Dr. Claus Leitzmann gemeinsam mit Karl von Koerber und Thomas Männle an der Universität Gießen der Begründer der Vollwert-Ernährung. Sie waren die Vorreiter der ganzheitlichen Betrachtung unserer Ernährungsweise. Der neue und besondere Anspruch bestand darin, für die Ernährung des Menschen neben gesundheitlichen auch gesellschaftliche und ökologische Anliegen zu formulieren. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ war damals noch nicht üblich. Grundsätze der Vollwert-Ernährung Die Vollwert-Ernährung ist eine Ernährungsform, die nicht das einzelne Lebensmittel, sondern das Gesamtbild der Ernährung betrachtet und damit die Anforderungen der Nachhaltigkeit erfüllt. Aus diesem Anspruch leiten sich nachstehende Grundsätze ab. 1. Genussvolle und bekömmliche Speisen Bei aller Vernunft bezüglich Gesundheit und Umwelt sowie der Solidarität mit anderen Menschen ist der Genuss beim Essen besonders wichtig. Daher steht dieser Grundsatz an erster Stelle. Genuss und gesundes Essen schließen sich nicht gegenseitig aus. Verbraucher werden motiviert, sich auf neue Geschmackserlebnisse durch bisher unbekannte Getreidearten, Kräuter oder Gemüse einzulassen. Dabei spielen nicht nur Lebensmittelauswahl und Zubereitung eine Rolle. Wichtig ist auch, sich ausreichend Zeit für das Essen und Trinken zu nehmen. Der Zeitfaktor ist wesentlich für die Bekömmlichkeit des Essens. Es gibt keine Empfehlungen für einzelne Lebensmittel (z.B. Äpfel essen), sondern nur für Lebensmittelgruppen (z.B. reichlich Obst und Gemüse essen), so dass jeder nach seinen persönlichen Vorlieben und der individuellen Bekömmlichkeit Lebensmittel auswählen kann. 2. Bevorzugung pflanzlicher Lebensmittel Die Vollwert-Ernährung bevorzugt Getreide und Getreideerzeugnisse, Kartoffeln, Gemüse und Obst sowie Hülsenfrüchte. Sie empfiehlt den mäßigen Verzehr von Milch und Milchprodukten. Fleisch und Wurstwaren, Fisch und Eier spielen eine untergeordnete Rolle und sollten selten auf dem Speiseplan stehen. Eine solche Ernährungsweise zeichnet sich allgemein durch ihre hohe Nährstoffdichte und ihren hohen Gehalt an Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen aus. Körpergewicht, Blutdruck und Blutfettwerte können positiv beeinflusst werden. Abgesehen von diesen gesundheitlichen Vorzügen begünstigt ein geringer Verzehr tierischer Lebensmittel die Lösung verschiedener ökologischer und sozialer Probleme. 3. Bevorzugung gering verarbeiteter Lebensmittel – reichlich Frischkost Vollwert-Ernährung versteht sich als eine Ernährung mit Lebensmitteln mit dem „vollen Wert“. Der Grad der Naturbelassenheit bzw. umgekehrt der Verarbeitungsgrad eines Lebensmittels sind wichtige Maßstäbe für den Gesundheitswert. Durch Verarbeitungsschritte gehen Inhaltsstoffe verloren und die Nährstoffdichte sinkt oftmals. Beispielsweise sinkt bei der Herstellung von Auszugsmehl aus Getreide der Gehalt an B-Vitaminen und Ballaststoffen. Etwa die Hälfte der Nahrungsmenge soll frisch verzehrt werden, z. B. als Frischkornmüsli, Rohkost, Blattsalat, Nüsse oder Rohmilchprodukte. Die andere Hälfte kann als erhitzte Kost aufgenommen werden. Durch Erhitzen werden gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe beispielsweise bei Hülsenfrüchten zerstört oder Kartoffeln verdaulich. Die Lebensmittelauswahl ist abwechslungsreicher als bei einer reinen Rohkost-Ernährung, und so auch die ausreichende Vitamin- und Mineralstoffversorgung deutlich einfacher. Die Speisen sollen fettarm und nährstoffschonend zubereitet werden. Hoch verarbeitete Lebensmittel wie Stärke, Zucker oder Salz und Nährstoffpräparate gelten als nicht empfehlenswert. Technologien wie Gentechnik oder Bestrahlung werden ablehnend bewertet. Die Bevorzugung frischer Lebensmittel hat nicht nur gesundheitliche Vorzüge. Es wird weniger Primärenergie für die verschiedenen Verfahren der Lebensmittelverarbeitung benötigt und in der Regel sind Grundnahrungsmittel preiswerter. 4. Ökologisch erzeugte Lebensmittel In der Vollwert-Ernährung sollen ökologisch erzeugte Lebensmittel bevorzugt verwendet. Hinsichtlich des Nährstoffgehaltes finden sich nur relativ geringe Vorteile gegenüber konventionell erzeugten Lebensmitteln. Vieles deutet auf höhere Gehalte an sekundären Pflanzenstoffen in Bio-Lebensmitteln hin. Bei ökologisch erzeugtem Obst und Gemüse werden im Durchschnitt geringere Belastungen mit chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln und Nitrat festgestellt. Bio-Fleisch enthält weniger oder keine Rückstände von Medikamenten. Für die Verarbeitung sind nur 50 (statt 316) Zusatzstoffe und wenige Hilfsstoffe erlaubt. Völlig gestrichen sind künstliche Farb- und Konservierungsstoffe und die Zugabe von Geschmacksverstärkern wie z.B. Glutamat. Einsetzen dürfen Bio-Hersteller Hefeextrakt, der geschmacksverstärkend wirkt. Er gilt rechtlich nicht als Zusatzstoff, sondern als Zutat. Was den Geschmack angeht, ist ein Vergleich schwierig zu bewerten. Jedenfalls hat der ökologische Landbau hohe Voraussetzungen für eine bessere Geschmacksqualität. Das gilt besonders für Fleisch, da die Mast weniger intensiv ist und das Tier mehr Zeit zum Wachsen hat. Bioprodukte bieten ökologische und soziale Vorteile. Im ökologischen Landbau wird beispielsweise auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel, mineralische Dünger und Importfuttermittel verzichtet. Man achtet auf Fruchtfolge, eine standortangepasste Sortenwahl und einen geringen Verbrauch nicht erneuerbarer Energien. Abzuraten ist von Bio-Produkten aus fernen Ländern, die als Flugware importiert werden. 5. Regionale und saisonale Erzeugnisse Die Vollwert-Ernährung empfiehlt den Verzehr regional erzeugter und der Jahreszeit entsprechender Lebensmittel. Damit können Primärenergieverbrauch und Schadstoffbelastungen durch Transporte oder ein hoher Energieverbrauch durch Beheizung von Gewächshäusern oder Folientunneln bei Treibhausgemüse gemieden werden. Beide Teile des Grundsatzes „regional-saisonal“ sollten gleichzeitig erfüllt sein (z.B. sind Gurken im Winter aus dem Treibhaus regional, aber nicht saisonal). Mit diesem Aspekt unterstützt die Vollwert-Ernährung die Wirtschaftskraft im ländlichen Raum und die Erhaltung der ländlichen Struktur unserer Heimatregionen. 6. Umweltverträglich verpackte Produkte In der Vollwert-Ernährung werden Lebensmittel ohne aufwändige Verpackung empfohlen. Obst, Gemüse, Kartoffeln und Getreide können lose eingekauft und in eigenen Mehrwegtaschen nach Hause transportiert werden. Bei Getränken wird ein Mehrwegsystem aus Glasflaschen gegenüber Einwegflaschen bevorzugt. Stark verarbeitete Lebensmittel werden wegen notwendiger Zwischentransporte und der Transportverpackungen nicht empfohlen. Ebenso werden Kleinstverpackungen, z.B. in der Gastronomie abgelehnt. 7. Fair gehandelte Lebensmittel Bei Produkten wie Kaffee, Tee, Kakao oder Schokolade sollten Lebensmitteln aus fairem Handel bevorzugt werden, um die Produzenten in Entwicklungsländern mit dem Kauf zu unterstützen. Fair gehandelte Lebensmittel werden neben Fair-Handelshäusern, Reformhäusern und Naturkostläden zunehmend auch in herkömmlichen Supermärkten und Discountern angeboten. Der faire Handel bietet eine nachhaltige Entwicklung für die beteiligten Produzenten, denn hier sinkt der Zwischenhandel, Importeure zahlen im Voraus und bieten langfristige Abnahmegarantien. Daneben gibt es zwischen den Handelspartnern standortabhängige Umweltschutzauflagen, Kinderarbeit ist verboten und mit den erzielten Gewinnen werden auch soziale Projekte gefördert. Es geht also um mehr als fair im ökonomischen Sinn. Das Fair im sozial-ethischen Sinn steht im Vordergrund - ein Plus an sozialer Gerechtigkeit. Praktische Umsetzung Aus den Grundsätzen der Vollwert-Ernährung leiten sich die Empfehlungen für die Lebensmittelauswahl ab. Die Lebensmittel werden vielfältig und abwechslungsreich ausgewählt. Einen guten und praktikablen Überblick gibt die „Orientierungstabelle für die Vollwert-Ernährung“ (siehe Anhang). Die Lebensmittel sind in Wertstufen eingeteilt, wobei die Einteilungskriterien nicht nur den Verarbeitungsgrad berücksichtigen, sondern auch ökologische, ökonomische und soziale Aspekte. Nachfolgend sind einige zentrale Empfehlungen zusammengestellt. Viele praktische Hinweise, auch für den Küchenalltag, liefert das Buch „Vollwert- Küche für Genießer“ (siehe unten). Getränke Als Durstlöscher werden kalorienfreie Getränke empfohlen. Dazu zählen Wasser, Mineralwasser und ungesüßte Kräuter- und Früchtetees. Von Obstnektaren, Fruchtsaftgetränken und Limonaden wird abgeraten, da sie meist hohe Mengen an zugesetztem isoliertem Zucker enthalten. Gegen einen mäßigen Verzehr von Obst- und Gemüsesäften, am besten verdünnt, ist nichts einzuwenden. Alkoholische Getränke sind als Genussmittel zu betrachten. Gemüse und Obst Diese beiden Lebensmittelgruppen haben einen besonders hohen Stellenwert. Sie werden täglich und möglichst frisch verzehrt. Frisches Obst ist immer ein leckerer Nachtisch, eignet sich als Zwischenmahlzeit und kann auch sehr gut zusammen mit Quark, Joghurt oder Frischkornbrei und ähnlichem verzehrt werden. Gemüserohkost schmeckt sehr gut als Beilage zu Brot oder zu warmen Mahlzeiten. Salate werden mit kaltgepressten, nicht raffinierten Ölen zubereitet. Gegartes Gemüse bietet reiche Abwechslung bei warmen Mahlzeiten als separate Beilage oder Bestandteil von Aufläufen und Eintöpfen. Gemüse und Obst der Saison und aus der Region ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern zum Teil auch preiswerter und gut im Geschmack. Was die Haltbarmachung angeht, wird für Gemüse auf die Methode der Milchsäuregärung besonders hingewiesen. Eine besondere Erwähnung finden Hülsenfrüchte. Sie sind die eiweißreichsten pflanzlichen Lebensmittel, zeichnen sich durch ihren hohen Gehalt an gesundheitsförderlichen Inhaltsstoffen aus und tragen wesentlich zur Versorgung mit Ballaststoffen bei. Hülsenfrüchte sind nicht nur lecker als Eintopf. Als Salat, Brotaufstrich oder indisches Curry zubereitet, bringen sie Abwechslung auf den Tisch. Getreide und Getreideerzeugnisse, Kartoffeln Allen kritischen Einwänden zum Trotz haben Produkte aus vollem Korn einen zentralen Stellenwert in der Vollwert-Ernährung. Verwendung und Zubereitung sind in besonders vielfältiger Weise möglich. Frischkornmüsli aus unerhitztem Vollgetreide (frisch geschrotet, fünf bis zehn Stunden im Kühlschrank eingeweicht oder angekeimt) ist ein ernährungsphysiologisch wertvoller Start in den Tag. Gemahlen zu Vollkornmehl wird Getreide zu Brot, Nudeln oder Backwaren verarbeitet. Ganze, gegarte Körner eignen sich gut für Suppen, Gemüsefüllungen oder Bratlinge. Gemieden werden sollten Produkte aus Auszugsmehlen wie weiße Brötchen, Toastbrot oder Kuchen. Durch die Umstellung des Verzehrs von Weißmehlprodukten auf Vollkornerzeugnisse erhält der Körper deutlich höhere Mengen an B-Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen. Kartoffeln werden in der Vollwerternährung gerne in Form von Pellkartoffeln oder anderen fettarmen Zubereitungen verzehrt. Milchprodukte, Fleisch, Eier, Fisch Milch und Milchprodukte spielen in der Vollwert-Ernährung eine bedeutsame Rolle. Geraten wird zu Vorzugsmilch (wenn die Möglichkeit des Einkaufs in der Nähe besteht) und pasteurisierter Milch sowie den daraus hergestellten Produkten wie Joghurt, Dickmilch, Buttermilch oder Käse. Der Verzehr von Fleisch und Eiern wird nicht ausdrücklich empfohlen, aber auch nicht abgelehnt. Ein bis zwei Mahlzeiten pro Woche erscheinen durchaus sinnvoll, um den Bedarf an hochwertigem, gut verdaulichem Protein sowie verschiedenen Vitaminen, hier insbesondere Vitamin B12, Mineralstoffen und Spurenelementen zu decken. Bevorzugt wird Bio-Fleisch und solches aus regionaler Erzeugung. Eine Fischmahlzeit pro Woche deckt den Bedarf an Omega-3-Fettsäuren (bei Bevorzugung von fettem Seefisch wie Hering, Lachs) und Jod. Im Hinblick auf die Überfischung der Meere soll der Fisch ein MSC-Siegel haben bzw. aus Bio-Aquakultur stammen. Süßungsmittel und Gewürze Die Vollwert-Ernährung lehnt isolierten, d.h. industriell hergestellten Haushaltszucker ab. Zum Süßen wird auf natürliche Zuckerquellen wie Obst, Dicksäfte oder ungeschwefelte Trockenfrüchte hingewiesen. Honig kann in geringen Mengen verwendet werden. Allgemein wird empfohlen, mit Süßungsmitteln sparsam umzugehen und die Reizschwelle der Geschmacksempfindung „süß“ möglichst niedrig zu halten. Zum Würzen sind frische Kräuter am besten geeignet. Gesalzen wird nur sparsam mit jodiertem Meersalz. Vollwert-Ernährung und vollwertige Ernährung Die Ähnlichkeit der Begriffe trägt einerseits zur Verwirrung bei, andererseits zeigt sie auch – im Gegensatz zu den Anfängen der Vollwert-Bewegung – eine gewisse Annäherung. Die Grundsätze der „vollwertigen Ernährung“ sind in den „10 Regeln“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) beschrieben. Dabei steht der Begriff vollwertig für bedarfsgerechtes, gesundheitsförderndes Essen und Trinken. Seit der Neufassung 2013 haben die „10 Regeln“ nicht mehr nur das Ziel der Prävention ernährungsmitbedingter Krankheiten, sondern berücksichtigen erstmalig Aspekte der Nachhaltigkeit. Vollwert-Ernährung ist immer vollwertig im Sinne von bedarfsgerecht. Sie geht aber in ihrem ganzheitlichen Ansatz (auch heute noch) über die Empfehlungen der DGE hinaus. Quellen und weiterführende Informationen Karl von Koerber, Thomas Männle, Claus Leitzmann: Vollwert-Ernährung – Konzeption einer zeitgemäßen und nachhaltigen Ernährung. 11. Auflage, Haug-Verlag Stuttgart 2012 Claus Leitzmann, Helmut Million: Vollwertküche für Genießer. Bassermann-Verlag München 2010 Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) (Hrsg.): Ökolandbau – was heißt das?, im Internet unter oekolandbau.de (Zugriff: 28.07.2017) BLE (Hrsg.): Bio-Lebensmittel - Fragen und Antworten, Bestell-Nr. 0392, Bestellung unter ble-medienservice.de (Zugriff 15.08.2017, aktualisiert 24.11.2023) Nachhaltige Ernährung: Aus der Region und nach der Saison – Vorteile für Verbraucher Fair handeln beim Lebensmitteleinkauf
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